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Was ich in meinem Psychologiestudium gelernt habe

 

Ein grauer Betonbunker. Unendlich viele anonyme Räume reihen sich aneinander. Ich, suchend, mittendrin. Und plötzlich Stimmen: „Wann findet jetzt die Leichenwend-Party statt?“ Mir schaudert. Hatte ich mich verhört? Nein, aber dazu später.

 

Mein erster Eindruck von der Universität Regensburg, wo ich mich für mein Psychologiestudium immatrikuliert hatte, war groß, dunkel und klamm.

 

Stundenlange Fachvorträge anhören auf klappbaren Folter-Stühlen: Das stellt man sich auch nur am Anfang wildromantisch vor. Auch die Liebe zu Büchern ist endlich, wenn Du mit einem Stapel, der die Augen verdeckt, in Richtung Copyshop ziehst.

 

Wie großartige Menschen diesen Ort trotzdem für mich zu einem Stück Heimat werden ließen, warum aber das Studium nur die Erlaubnis zum Weiterlernen ist, erfährst Du hier. 

Mein Psychologiestudium – Inhalte und Personen

Julia Georgis Immatrikulationsbescheinigung für den Studiengang Psychologie an der Uni Regensburg
Meine Immatrikulationsbescheinigung für den Studiengang Psychologie an der Uni Regensburg

 

Als eine von 100 „Erstis“ startete ich im Oktober 2002 mein Psychologiestudium an der Universität Regensburg. Das Grundstudium war sehr dominiert von Statistik und Methodik. Mehr als ich mir hätte träumen lassen. Für mich als Mathe-Legastheniker eine echte Herausforderung. Durch eine richtig gute Vorlesung von Dr. Michael Knapp, einer nützlichen Übung dazu und ganz viel Training konnte ich zwei Statistikprüfungen mit einer 1 abschließen. Was die Mädels unter uns – und das gebe ich zu während ich ein bisschen rot werde – mindestens so sehr wie die Abschlussnote motiviert hat, war das ausgeschriebene Abendessen mit dem Prof für alle Einser-Prüflinge.

 

Ich durfte Prof. Dr. Klaus Grossmann, einen der renommiertesten Bindungsforscher, live in Vorlesungen erleben. Sowohl er selbst als auch seine Frau Karin, die ich einige Jahre später auf einem Kongress kennenlernen durfte, sind hervorragende Erzähler und vermitteln Inhalte spielerisch und mit viel Liebe und Lebenserfahrung.

 

Bei dem damals schon emeritierten Prof. Dr. Adolf Vukovich durfte ich ein ganz besonderes Seminar in psychologischer Kommunikation miterleben. Im Nachhinein gesehen hatte das schon sehr viel mit Hypnose zu hatte. Es ging zum Beispiel darum, wie man als Therapeut Rapport herstellt.

 

Die einzige weibliche Professorin am Institut und rheinische Frohnatur war Prof. Dr. Marianne Hammerl, die 2008 viel zu früh verstarb. Ihr verdanke ich viel Wissen über sozialpsychologische Theorien. Und den weisen Ratschlag über Männer „Kennste einen, kennste alle“ (Augenzwinker). Im Rahmen ihres Lehrstuhls lief eine Projektarbeit über Mensch-Maschine-Interaktion bei BMW, an der ich beteiligt war. Es ging darum, ob das sogenannte „Pick-to-light“ System der klassischen Kommissionierung nach Teilenummern überlegen ist. Nach dieser Projektarbeit wusste ich, dass Arbeits-,Betriebs- und Organisations-Psychologie (kurz ABO) und ich keine Freunde fürs Leben werden. Dieses Spannungsfeld nach den Vorgaben der Chefs arbeiten zu müssen, aber auch den Angestellten helfen zu wollen, und zwar ohne dass es Zeit oder Geld kostet, machte mich kirre.

 

Sehr prägend waren für mich die Vorlesungen mit Prof. Dr. Klaus Lange. Er brachte uns Neulingen sehr viel über Neuropsychologie bei. Und gleichzeitig lernten wir bei ihm strukturiertes und exaktes Arbeiten. Wer es nicht lernte, der ist definitiv an seiner Prüfung gescheitert. Ihm verdanke ich, dass ich noch heute gute Grundkenntnisse in Bezug auf den Aufbau des Gehirns habe und wenn ich Studien lese, weiß, wovon die Rede ist. Danke dafür.

 

Eine weitere Koryphäe und zusätzlich ein wirklich sympathischer Mensch ist Prof. Dr. Jürgen Zulley. Nicht nur über seine große Leidenschaft, die Schlafforschung, berichtete er in seinen Vorlesungen, sondern ließ uns auch über die Schulter schauen bei seiner Tätigkeit am Bezirksklinikum Regenburg.

 

Mein Psychologiestudium – Fachliches mehr oder weniger praxisnah

Ich erinnere mich an ein Pflichtwahlpraktikum (kurz: PWP), das ich im Bereich Fahrsicherheit absolvierte. Getestet wurde im Fahrsimulatorlabor. Mir selbst wurde darin höllisch schlecht. Gut, dass ich nur andere Versuchspersonen testen und Ergebnisse sammeln sollte. Ich kam mir auf jeden Fall bei dieser „ersten Studie“ sehr wichtig vor. So ein tolles Labor hat schließlich nicht jede Uni zur Verfügung – und schon gleich nicht für „Newbies“ wie uns damals.

 

Als Psychologiestudent musste man auch sogenannte Versuchspersonenstunden ableisten. Sprich: in anderen wissenschaftlichen Untersuchungen Proband sein beziehungsweise dabei mithelfen. Ich verdiente mir einige Stunden damit, auf Kassette aufgenommene Interviews zu transkribieren. Und ich nahm an einem Experiment teil, bei dem ich so tun musste, als hätte ich bereits ein Kind geboren. Mir wurden nach einigem Einlesen Fragen rund um Schwangerschaft und Geburt gestellt. Verglichen wurden die Antworten dann mit „echten Mamas“. An das Ergebnis kann ich mich leider nicht mehr erinnern.

 

Meine Diplomarbeit zum Thema „„Evaluation eines multimodalen Trainingsprogrammes für Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)“ habe ich am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie von Prof. Dr. Helmut Lukesch geschrieben. Ich bin ihm noch heute dankbar dafür, dass er mir beigebracht hat, wie wissenschaftliches Schreiben und vor allem richtiges Zitieren geht – etwas was ja schon einige Politiker-Köpfe rollen ließ. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.

 

Um meine Diplomarbeit vorzubereiten und die Gruppen durchzuführen, arbeitete ich über zwei Jahre studiumsbegleitend in der Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle der Caritas in Deggendorf. Dort lernte ich von meinen Kollegen, allen voran dem damaligen Leiter Dipl.-Psych. Horst Rieger, Dipl.-Psych. Susanne Emlinger und Dipl. Soz.Päd. Sabine Bernauer, mein handwerkliches Rüstzeug als Psychologin. Mir wurde gezeigt, wie man Erstgespräche führt. Wie man dokumentiert. Wie man Lern- und Leistungstests durchführt. Und wie man Kindergruppen anleitet beziehungsweise Wissen für Elterngruppen aufbereitet. Ein unglaublich wertvoller Schatz für meinen Berufsstart.

 

 

Julia Georgi, damals noch Dallmeier, bietet in der Erziehungsberatungsstelle Deggendorf ein multimodales Training für AD(H)S-Kinder an
Das speziell von mir entworfene Gruppentraining mit Kinder- und Elterngruppe war so erfolgreich, dass es in das reguläre Angebot der Erziehungsberatungsstelle übernommen wurde - auch nach meinem Abschied

Mein Psychologiestudium – Persönliches und Funfacts

Gefühlt verbrachte ich die Hälfte der Studienzeit auf der Autobahn. Damals schon in einer festen Beziehung, pendelte ich 75 Kilometer einfach zur Uni und wieder zurück. Über die A 3. Und wer die Autobahn A 3 kennt, der weiß, dass Staus, Unfälle und vor allem Baustellen dort eher die Regel als eine Seltenheit sind. Insofern lernte ich sämtliche Wege, Umwege und Schleichwege kennen – fand aber immer wieder nach Hause.

 

Einmal im richtigen Zeitfenster angekommen, konnte jedoch die Parkplatzsuche noch alles verderben. Zwei Parkhäuser und eine große Freifläche zwischen Uni und FH galt es nach der geeigneten Lücke abzusuchen. Wer am schnellsten zwei Reihen gleichzeitig scannt, im entscheidenden Moment Gas gibt und den Blinker setzt gewinnt. Dieses Spiel habe ich in den knapp fünf Jahren perfektioniert. Es hat allerdings auch zwei Unfälle nach sich gezogen.  Einmal rutschte ich auf dem spiegelglatten Parkplatz mit einem anderen Auto zusammen. Und das zweite Mal wurde die rechte Seite des vom Vater geborgten, fast neuen Wagens von einem Mitparker ramponiert, der sich dann natürlich vom Acker machte.

 

Sehr viel Zeit verbrachte ich mit meinen vier liebsten Studienkolleginnen im Copyshop. 1000 kopierte Seiten Fachliteratur waren es alleine für die Prüfung in Klinischer Psychologie. Beim vierten Umzug nach Abschluss meines Studiums wanderte der Großteil der Ordner übrigens in den Papiermüll. Sehr schade. Interessant wäre übrigens auch eine Statistik zum Verbrauch von unterschiedlich farbigen Textmarkern in dieser Zeit.

 

Gerade während des Grundstudiums haben meine Lernclique und ich sehr viel mitgeschrieben. So viel, dass sich an der rechten Hand schon der berühmte Schreibhubbel am Ringfinger gebildet hatte. Manche Professoren gingen vom Inhalt her so zügig vor, dass wir uns zu viert aufgeteilt haben, um eine Powerpointfolie abzuschreiben – einer oben, einer unten und so weiter. Nach jeder Vorlesung haben wir uns zusammengesetzt und die Teile zusammengepuzzelt. Heute im digitalen Zeitalter mutet das schon fast antik an.

 

Zeit zum Lesen, Lernen, Referat vorbereiten oder einfach nur in Ruhe Quatschen? Für mich war der Teewinkel so etwas, was man heutzutage wohl als Co-Working-Space bezeichnen würde. Es gab für 20 Cent eine Tasse Tee plus einen Keks. Einen runden Tisch mit Sitzgelegenheit. Und relative Ruhe. Lieblingsteesorte war damals übrigens Rooibos Karamell, auch liebevoll Pfeifentabak-Tee genannt.

 

Wolltest Du auf dem Campus etwas essen, konntest Du Dich entscheiden zwischen einer Leberkäs-Semmel oder dem Gang zur Mensa. Dort stand man ewig an, um sich dann doch wieder von Beilagen zu ernähren. Trockener Reis, der aber gar nicht so schlecht war. Kartoffeln. Ein Schälchen Salat. Eine Nachspeise. Alles andere war in pampiger Bauchweh- beziehungsweise Esskoma-Soße ertränkt.

 

Wäre ich nicht so ein durchwegs stabiler Mensch, hätte mich wahrscheinlich meine Prüfung in Differenzieller Psychologie lebenslang traumatisiert. Das Fach an sich klingt ja total spannend. Für mich allerdings völlig unverständlich, ging es darin um Themen wie Farbwahrnehmung (sehr mathematisch) und mathematische Beweise. Anders als bei anderen Prüfern wurden alle Prüflinge morgens um 8 Uhr einbestellt. Man sollte sich der Größe nach aufstellen. Je nach Lust und Laune wurde dann beim Kleinsten oder Größten begonnen. Ich hatte Pech und musste vier Stunden auf meine absolute Wackel-Kandidat-Prüfung warten. In der Prüfung telefonierte der Professor dann, was mich vollkommen aus dem Konzept brachte. Und noch mehr verwirrte mich, als er dann über seine buschigen Augenbrauen strich und leicht genervt von sich gab: „Sagen sie halt noch einmal, was sie vor zehn Minuten gesagt haben, das war doch richtig.“ Halbe Panikattacke an der Tafel. Letztendlich habe ich die Prüfung bestanden – wenn sie mir auch meinen Notendurchschnitt ruiniert hat.

 

Prüfungen gehen aber auch anders. Ich sage nur Nachbarfach Pädagogik – ja, so etwas brauchte man im Hauptstudium. Pädagogik lag für mich nahe. Die Vorlesung war eine Katastrophe. Und in der Prüfung wurde mir davon schwindelig, dass der Prüfer eine halbe Stunde lang vor mir auf seinem Sitzball auf und ab wippte.

 

Mit circa 20 von 100 Leuten zu Beginn schloss ich nach dem neunten Semester, also innerhalb der Regelstudienzeit, mein Psychologiestudium mit Diplom ab. Für mich nur die Befähigung, weiter lernen zu dürfen.

 

 

Julia Georgi Abschlusszeugnis als Diplom-Psychologin Univ.
Mein Diplom in Psychologie

Mein Psychologiestudium - was davon geblieben ist

Wie ich vorher bereits schrieb: Das Diplom sehe ich als Befähigung und Erlaubnis zum Weiterlernen. Es ist die Grundlage und Zugangsvoraussetzung für therapeutische Fachausbildungen. 

 

Gelernt habe ich vor allem wissenschaftliches Arbeiten: und zwar von der Pike auf. Wie lege ich eine wissenschaftliche Studie an, wie stelle ich ein aussagekräftiges Versuchsdesign zusammen, wie werte ich die Ergebnisse der Studie aus. Darüber hinaus habe ich gelernt, wie man Fachartikel und auch umfangreiche Arbeiten schreibt. Meine Diplomarbeit hatte über 180 Seiten! 

 

Was ich zwar vorher schon konnte, aber im Studium noch einmal perfektioniert habe, ist meine Lerntechnik. Bei so vielen Prüfungen in kürzester Zeit muss man es schaffen, das Wesentliche aus tausenden von Seiten Prüfungsliteratur herauszuschreiben, die Inhalte immer weiter herunterbrechen um sie lernbar zu machen. Eins ist klar: Manches schaufelt man auf Druck ins Kurzzeitgedächtnis. Anderes bleibt aber fürs Leben, weil es mit bestimmten Umständen oder Menschen im Gedächtnis fest verbunden ist.

 

Was ich zudem gelernt habe ist Grundwissen über Psychopathologie, Neuropsychologie, Entwicklungspsychologie und Sozialpsychologie. Näher befasst habe ich mich zudem mit Medienpsychologie und Kindeswohl beziehungsweise dessen Gefährdung. Sehr gutes Spezialwissen erwarb ich durch die Diplomarbeit über das Thema AD(H)S im Kindes- und Jugendalter. 

 

Durch das Praktikum schaffte ich es, mich so auf das Berufsleben vorzubereiten, dass ich an meinem ersten Tag in der Suchtklinik keine Schweißausbrüche vor der ersten Patientin hatte. Allerdings berichteten viele Studienkollegen weniger positiv von ihren Praktika. 

 

Was auf jeden Fall geblieben ist: eine Freundschaft mit meiner Studienkollegin, Lerngefährtin und Teewinkelkumpanin Susanne Hoch, die mitterweile in eigener Praxis als verhaltenstherapeutisch orientierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin arbeitet.

 

Übrigens: mein Studium ist eine von 19 Stationen zur Trainerin und Mentorin für Hypnotherapeuten und -coaches, die ich jetzt bin.

 

 

P.S. Leichenwend-Party feierten die Regensburger Medizin-Studenten, wenn im Anatomie-Kurs die eine Seite des menschlichen Körpers eingehend untersucht und seziert wurde und nun die andere Seite dran ist. Wer Humor hat, kommt deutlich weiter im Leben, oder?

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