Künstliche Intelligenz will mir ans Leder. Sie will meinen Job wegschnappen. Bin ich dann arbeitslos? Diese Gedanken mache ich mir überhaupt nicht. Chat GPT und Co kann für Hypnotherapeuten nützlich sein. Aber ich bin der festen Überzeugung: Keine Maschine kann mich als Therapeutin ersetzen, und hat sie auch noch so viel Wissen aus dem Internet gesammelt. Hier sind meine Argumente:
1. KI hat keine Persönlichkeit
Chat GPT ist kein Mensch aus Fleisch und Blut. Es hat keine Persönlichkeit. Auch wenn es nette Worte ins leere Textfeld zaubert, fehlt etwas ganz Entscheidendes: nämlich die Einzigartigkeit. Das Unverwechselbare. Das Charisma. Die ganz besondere Mischung aus Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Das, was einen Klienten entscheiden lässt, dass er mit diesem Therapeuten "gut kann" oder eben nicht. Das, was für Sympathie und Anziehung sorgt.
2. KI hat keine Lebenserfahrung
Als Therapeut ist es von wesentlichem Vorteil, über Lebenserfahrung zu verfügen. Nicht jede Erfahrung muss man selbst gemacht haben, um fachlich gut zu sein. Aber es hilft, sich einfühlen zu können, weil man selbst schon einmal eine Krise durchgemacht hat, eine Trennung erlebt hat oder markerschütternde Angst hatte. Wenn man selbst Kinder hat, schon mal im Krankenhaus lag oder Konflikte in der Arbeit hatte. Zusätzlich zum Fachwissen öffnet sich eine Erfahrungsebene, die das Tor für Empathie aufmacht. Und für die Zuversicht, Probleme lösen zu können. Lebenserfahrung und gelebtes Leben katapultiert einen Therapeuten vom "In-der-Bibliothek-Theorie-Konsumierer" hin zum "erfahreneren Klienten".
3. KI verfügt nicht über Berufserfahrung
Jemand, der gerade seine Hypnoseausbildung beendet hat, hat viel Wissen in kurzer Zeit in seinen Kopf geschaufelt. Erste Erfahrungen mit Hypnose als Methode gemacht. Kann Hypnoseskripte benutzen und replizieren. Befähigt ihn das bereits, ein guter Therapeut zu sein? Die Praxis zeigt: leider nein! Viele Hypnoseausgebildete buchen mich als Trainerin, weil sie sich noch unsicher fühlen. Weil sie nicht wissen, wie sie Erstgespräche zielgerichtet führen. Weil es ihnen schwerfällt, die richtigen Techniken für das Problem des Klienten auszuwählen. Weil ihnen allein der Gedanke, dass etwas nicht nach dem erlernten Schema läuft, die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Und weil sie sich lösen wollen von Skripten. Viel lieber den eigenen Stil entwickeln möchten.
All das kann nur durch Übung erlernt werden. Immer wieder selbst erleben, am Klienten unter Supervision ausprobieren. Ein therapeutisches Gespür entwickeln. So entsteht professionelles Arbeiten und eigene Souveränität. Das kann KI alles eindeutig nicht.
4. KI gelingt es nicht, Atmosphäre und Beziehung herzustellen
Der Beziehungsaspekt ist für das Gelingen einer Therapie von wesentlicher Bedeutung. Chat GPT und Co können zwar auf freundliche Art Fragen beantworten. Es gelingt ihnen aber nicht, eine Atmosphäre von Wohlfühlen, Angenommensein, Vertrauen und Wertschätzung herzustellen, innerhalb derer der Klient sich traut, über alles zu sprechen, was schwierig ist. Das geht nur, wenn man sich individuell auf den Klienten einstellen kann. Wenn man sich mit seiner ganzen Persönlichkeit einlässt. Voller Empathie. Wenn man ganz im Moment ist.
5. KI erkennt das Wichtige zwischen den Zeilen nicht
Das was ein Klient mit Worten sagt, ist das eine. Er spricht aber auch mit Mimik, Gestik, Körperhaltung und dem Ton seiner Stimme. Er kommuniziert über das Gesprächstempo. Über Pausen. Und Betonungen. Das alles zu erkennen ist wichtig, denn häufig liegt das Wesentliche hinter den Worten, ist quasi zwischen den Zeilen versteckt. Diese Feinheiten kann KI (noch) nicht erkennen. Und was auch wichtig ist: Was sagt der Klient nicht? Worüber spricht er nicht, obwohl Berufs- und Lebenserfahrung des Therapeuten erwarten würden, dass es darum geht?
6. KI arbeitet nicht mit den Sinnen
KI hat keine Stimme, die in Höhe/Tiefe, Lautstärke, Redegeschwindigkeit oder Timbre variieren kann. Stimme ist jedoch eine wichtige Möglichkeit, Beziehung zum Klienten herzustellen, ihn in Trance sicher zu begleiten und Krisen zu begegnen. KI hat zudem keine Hände, um notfalls zu berühren, zu erden, Sicherheit zu geben. Zudem passt sich eine Maschine nicht an den Atemrhythmus des Klienten an, um Ruhe und Entspannung zu bahnen. Die komplette sinnliche Komponente fehlt.
7. Humor - bei KI Fehlanzeige
Nicht jeder findet alles witzig. Humor ist oft Geschmackssache. Aber er sollte, wenn wir ihn beruflich anwenden, nicht übers Ziel hinaus schießen. Chat GPT beschreibt sich selbst als "ein bisschen humorvoll". Das, was das Programm jedoch von sich gibt, finde ich jedoch mindestens unwitzig, zum Teil extrem bedenklich. Würde ich einen Klienten, der zu spät kommt, als Spätzünder bezeichnen, wüsste ich nicht, welche Skriptsätze aus der Kindheit ich damit bediene. Würde ich ihm rückmelden, er hätte wohl den "Langsamer-als-erwartet-Express" genommen, könnte es nicht nur ein impulsiver Klient in den falschen Hals bekommen. Und ganz ehrlich - der Witz mit dem Mathebuch unten - der ist schlechter als jeder Anti-Witz, der mir als Jugendliche in der Schule erzählt wurde.
8. Selbsterkenntnis und so...
Mittlerweile dürfte schon klar geworden sein, dass KI einen Therapeuten aus Fleisch und Blut nicht ersetzen kann. Immerhin sieht es Chat GPT aber selbst ein, dass das nicht geht. Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Eines ist jedoch klar. Als Hypnotherapeuten können wir uns durchaus in unserer alltäglichen Arbeit von KI unterstützen lassen. Wie genau das funktioniert, erfährst Du in meinem Artikel "Chat GPT für Hypnotherapeuten? Ein Selbstversuch"
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Liane (Mittwoch, 12 Juni 2024 22:10)
Liebe Julia, es hat mit Freude gemacht diesen Artikel zu lesen. Er hat mich auch zum schmunzeln gebracht. Deine Gegenüberstellungen sind klasse. Persönlichkeit ist ein wertvolles Gut. Herzlichen Dank Liane