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Ohne Skript und Vorlage - wer bin ich als Hypnotherapeut?

Ohne Skript und Vorlage - wer bin ich als Hypnotherapeut?

 

Mit diesem Blogartikel folge ich einem Aufruf von Uli Pauer, Aufräumcoach aus Wien, die in ihrer Blogparade wissen will: "Wer bist du ohne deine Dinge?". In meinem Beitrag richte ich den Scheinwerfer auf einen therapeutisch- fachlichen Aspekt dieser Thematik.

Die Inhalte dieses Blogartikels

Die Abhängigkeit der Hypnotherapeuten

Ich weiß, Du kannst nichts dafür. Du wurdest in vielen Seminaren, Workshops, Fortbildungen abhängig gemacht. Abhängig von Vorlagen und Skripten. Von genauen Wortlauten und exakten Vorgaben, wie Du etwas machen musst. Von Tools und bestimmten Materialien, die unbedingt nötig zu sein scheinen, wenn Du gut arbeiten willst.

 

Und plötzlich hast Du erkannt, dass das Dein Therapeutenleben so wunderbar einfach macht. Jemand kommt zum Rauchen aufhören - alles klar. Ordner auf, Suggestionstext heraus. Hypnosemusik an. Und schon muss ich einfach vorlesen - natürlich mit ruhiger, getragener Stimme. Schwupps - Erfolg! Jemand kommt mit Schmerzen. Ui, da wird es schon schwieriger. Aber glücklicherweise kannst Du da die Vorlage aus dem Fachbuch 1:1 übernehmen. Es passt exakt zu der Klientin. Nur noch schnell kopieren und schon kann es losgehen. 

 

In manchen Fällen mag das ja sogar funktionieren. Aber ganz ehrlich: wenn das so einfach wäre, wären sämtliche psychischen Probleme schon gelöst. 

 

Und doch habe ich es im Rahmen meiner Dozententätigkeit in München ständig gehört und bekomme auch heute fast täglich Anfragen von meinen Kundinnen: Julia, hast Du einen Suggestionstext für xy? Hast Du eine Vorlage, nach der ich vorgehen kann bei Problem z?

 

Ganz enttäuscht sind sie dann immer wenn ich sage: Ein Skript zum Ablesen ist etwas für die ersten paar Wochen Deiner Tätigkeit. Danach sollte es nicht mehr sein als Inspiration oder Gedankenstütze. Werde selbst kreativ!

Was passiert, wenn Du in der Abhängigkeit bleibst

Um noch einmal eines klarzustellen: Wer gerade Hypnose lernt, braucht anfangs ein paar Formulierungshilfen. Und braucht Ideen, Strukturen und Klarheit. Alles das bietet ein fertiger Suggestionstext. Und das ist auch gut so. Es dauert nun einmal einige Zeit, bis ein bestimmtes Wording in Fleisch und Blut übergeht und bis man gelernt hat, wie der Hypnose-Hase läuft. 

 

Wenn Du Dich auch nach der Ausbildung hauptsächlich auf Skripte und fertige Texte verlässt, hast Du gleich mehrere Probleme. 

  1. Zettelwirrwarr: Wie häufig war ich Zeuge davon, dass ein Auszubildender mit zehn Blatt Papier auf seinem Klemmbrett da saß und vor sich hin raschelte. Drei Seiten ausformulierte Entspannungsinduktion, vier Seiten Suggestionstext, eine Seite exaktes Wording für die Ausleitung und noch Papier zum Mitschreiben für den interaktiven Teil in der Hypnose. Upps. Blätter runtergefallen. Was kam jetzt schnell wieder zuerst? Wo bin ich jetzt? Raschel...raschel....
  2. Fremdwörter: Wenn Du etwas Vorgegebenes vorliest, benutzt Du nie eigene Worte. Das klingt  - gerade wenn Dich jemand aus dem vorhergehenden Gespräch schon etwas kennt - oft völlig unpassend, gestelzt, nicht authentisch. Unterschätze nicht, was das mit der Therapeut-Patient-Beziehung macht!
  3. Kreativblackout: Deinen kreativen Autopiloten mit all seinen Ideen, die direkt aus Deinem Unterbewusstsein hochploppen, setzt Du Schachmatt - damit verkomplizierst oder verlängerst Du den therapeutischen Prozess unnötig. 
  4. Bauchgefühlkiller: Spontaneität und Bauchgefühl ist völlig außen vor, wenn Du Dich nur darauf konzentrierst, an welcher Stelle des Textes Du Dich gerade befindest. 
  5. Hypnolegasthenie: Du kannst zwar grundsätzlich Hypnose sowie der Legastheniker lesen und schreiben kann. Aber eben nicht richtig gut. Es fehlt etwas. 
  6. Sachensucher: Oh, heute kommt diese Klientin mit der Spinnenphobie. Und ich hab noch keinen Text dazu. Es gibt doch bestimmt einen. Lass mal suchen...
  7. Stressquelle: Wenn ein Klient mal nicht so reagiert wie vorgesehen, hast Du ein Problem. Beliebtes Beispiel: Bei einer Blockadenlösung drehen sich die Hände nicht. Der Rest des Textes ist aber ausgerichtet darauf, dass das geklappt hat. Was tun? Da kann einem schon mal heiß werden, wenn man nicht geübt ist im spontanen Reagieren. 

Wer bist Du ohne Skripte und Vorlagen?

Ohne all diese vorgekauten Dinge bist Du zurückgeworfen auf Dich. Deine Beobachtungsgabe, Dein Gefühle für Timing, Deine Intuition, Deine eigene Kreativität. Deine volle Konzentration ist gefragt. Deine Improvisationskunst. Deine Fähigkeit, Beziehung mit Worten zu gestalten. Dein Talent, innere Bilder entstehen zu lassen. 

 

Fernab von allen Schriftstücken hast Du nämlich erst die Chance, ganz authentisch Du selbst zu werden. Mit Deinem ganz eigenen therapeutischen Stil. Mit den Worten, die zu Dir passen. Und stell Dir vor, wieviel Freiheit das gibt. Nichts schränkt Dich ein. Du kannst ganz dem Prozess folgen. Und wieviel Selbstbewusstsein Dir das gibt. Du kannst Dich zu einer ganz eigenen Therapeuten-Persönlichkeit entwickeln. 

 

Dir bricht gerade der kalte Angstschweiß aus? Keine Sorge, das ist gar nicht so schwer. Im nächsten Abschnitt zeige ich Dir, was Dir dabei hilft, genau dort hinzukommen. 

So klappt die Entwöhnung

In Bezug auf andere Suchterkrankungen folge ich zumeist dem Leitprinzip "Von 100 auf 0 - sofort". Für Dich habe ich aber jetzt ein paar Vorstufen dabei, die eine schrittweise Entwöhnung von Skripten und Vorlagen ermöglichen.

 

Schritt 1: Lies Dir möglichst viele Texte durch. Vor allem Induktionen und Suggestionstexte für verschiedene Probleme. Dann begreifst Du, wie sie aufgebaut sind und welche Elemente immer wieder vorkommen. Sehr empfehlen kann ich (neben Deinen Ausbildungsunterlagen) die Bücher von Agnes Kaiser Rekkas. Das Buch, das ich anfangs regelrecht verschlungen habe ist "Im Atelier der Hypnose".*

 

Schritt 2: Übe Geschichtenerzählen. Erzähle Deinem Kind, Deinem Neffen oder der Nichte, dem Enkelkind oder Deinem Partner eine Geschichte - und zwar spannend und bildreich. Hilfreich ist es auch, wenn Du vielleicht einen Buddy hast, der sich auf der gleichen Stufe befindet und mit dem Du üben kannst. 

 

Schritt 3: Lerne bestimmte Formulierungen stur auswändig. Gerade was Ein- und Ausleitung betrifft nutzt das nichts. Das muss sitzen. Und wenn Du Dich beim Einstieg schon mal ruhig und entspannt fühlst, läuft es ohnehin. Natürlich kannst Du in vielen Fällen auch hier Deine eigenen Begrifflichkeiten benutzen. Ausnahmen gibt es bei der Blitzhypnose.

 

Schritt 4: Schreibe selbst Suggestionstexte. Übe, für Deine Klienten im Vorhinein individualisierte Texte zu schreiben, mit Deinen Worten und eurer gemeinsamen Bilderwelt. 

 

 

Suggestionstext selbst schreiben
Ein Ausschnitt aus einem meiner ersten selbst formulierten Suggestionstexte - und zwar zum Thema "Knochenheilung"

 

Schritt 5: Mach Dich mit Geschichten, Metaphern und archetypischen Bildern vertraut. Märchenbücher, Geschichten von Weisen, die Archetypenstruktur nach C.G. Jung. Beschäftige Dich wann immer Du freie Zeit hast mit diesen Dingen. Sie bieten Dir wertvolle Vorlagen. 

 

Schritt 5: Benutze nur noch Stichpunkte. Schreib Dir vor jeder Sitzung eine Struktur auf, nach der Du vorgehen möchtest. Markante Formulierungen dürfen Teil davon sein. 

 

Schritt 6: Sprich völlig frei - in Deinem authentischen Stil. Und dann hast Du es geschafft. Herzlichen Glückwunsch. 

Klarer Fall: Hypnotherapeut sein ohne Vorlagen rockt

Uli Pauer wollte in ihrer Blogparade wissen, wer wir "ohne unsere Dinge" sind. Und ich sage: Ohne Blaupausen, Skripte und vorgefertigte Texte sind wir bessere Hypnotherapeuten. Weil wir unseren eigenen Stil entwickeln. Weil wir dadurch authentisch gegenüber dem Klienten sind. Und weil es mehr als ausreichend ist, auf das eigene Unterbewusstsein, den eigenen Kopf und die eigene Kreativität zu vertrauen - sofern wir alle drei in Schuss halten. 

 

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