Kunstfehler. Gefährdung der Übertragung. Schlechtes Therapieergebnis. Gerade Psychoanalytiker würden Zeter und Mordio schreien über meinen Umgang mit Selbstoffenbarung. Ich tue es trotzdem, und zwar aus gutem Grund. Und Psychologen wie etwa Jennifer Henretty von der University of Memphis und Heidi Levitt von der University of Massachusetts (zitiert nach Ärzteblatt, April 2010) stützen meine Entscheidung. Selbstoffenbarung sei schließlich therapeutischer Alltag, da man ja allein durch Mimik, Gestik, Sprache, Kleidungsstil oder Einrichtung der Praxis schon viel über sich selbst aussage.
Die Inhalte dieses Blogartikels
1.Mein Business-Geständnis als Hypnotherapeutin
2.So kam es zu meiner Entscheidung, Persönliches preiszugeben
3.Meine persönliche Grenze - oder der Unterschied zwischen persönlich und privat
Mein Business-Geständnis als Hypnotherapeutin
Ich bekenne mich klar dazu, keine neutrale Projektionsfläche für meine Klienten zu bieten. Ich setze gegenüber meinen Klienten Selbstoffenbarung gezielt ein. Und zwar im Sinne von Sprechen über Persönliches sowie im Sinne von Zeigen von echten Meinungen und Gefühlen. Zudem beantworte ich persönliche Fragen von Klienten soweit das für den laufenden Prozess sinnvoll ist.
Ich tue das aus der tiefsten Überzeugung heraus, dass Therapie nur dort richtig gut funktioniert, wo ein Mensch einem anderen Menschen begegnet. Aus der Idee heraus, dass ein Bild vom Therapeuten zu haben, Vertrauen schafft und eine Basis für Kommunikation. Aus dem Glauben, dass es notwendig ist, dass der Therapeut und seine Reaktion einschätzbar ist, um sich als Klient verletzlich zu zeigen. Und aus dem Ideal heraus, in manchen Dingen der "erfahrenere Patient" zu sein und somit ein Modell was das Problemlösen angeht.
So kam es zu meiner Entscheidung, Persönliches preiszugeben
Meine Entscheidung festigte sich über mehrere Erfahrungen und Erlebnisse. Einerseits bin ich selbst Supervisoren und Ausbildern begegnet, die diesen Stil gepflegt haben. Ich durfte also am eigenen Leib erfahren, was es heißt, mich verbunden zu fühlen. Ich wusste über die Krebserkrankung eines Ausbildungsleiters Bescheid, was mir ermöglichte, meine im Vergleich "kleinen Probleme" einzuordnen. An seinem Beispiel lernte ich, wie Ablenken, Selbstfürsorge und Überleben geht. Er war mir also durch seinen offenen Umgang damit Vorbild für mein Leben. Von einem Supervisor weiß ich, dass er ebenfalls eine Scheidung hinter sich hatte und im Partnersuche-Dschungel noch nicht die Richtige gefunden hatte - genauso wie ich zu diesem Zeitpunkt. Es ermutigte mich, weil er niemals "von oben herab" mit mir sprach, weil er mir zeigte, dass Leben immer wieder Veränderung und Neuausrichtung heißen kann - und man trotzdem glücklich sein darf.
Vorbild im positivsten Sinne war für mich auch Irvin D. Yalom, amerikanischer Psychotherapeut und Autor. In seinen Büchern beschreibt er teilweise therapeutische Prozesse. An einer Stelle berichtet er über eine Klientin, der er auftrug, nach jeder Sitzung Buch darüber zu führen, was sie über ihn dachte, was sie in der Sitzung erlebt und gefühlt habe. Die wirkliche Offenbarung für mich war, dass er selbst das ebenso tat. Am Anfang jeder Stunde tauschten sie die Aufzeichnungen auf und sprachen im Anschluss darüber. Bei zwei meiner Klienten (beide übrigens über Jahre missbraucht) habe ich das mittlerweile ebenfalls angewandt - mit erstaunlich positiven Ergebnissen.
Weiter gefestigt wurde meine Entscheidung zudem durch Berichte von Patienten, die vorher in anderen Therapien waren. So mancher berichtete über Therapeuten, die kaum auf das Erzählte reagierten, weder mit Worten noch mit Mimik, was zu starker Verunsicherung führte. Ja gar zu dem Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden, nur da zu sein, um Geld einzubringen. Auf jede persönliche Frage sei eine Gegenfrage gestellt worden. Auf jeden Versuch, menschlich anzudocken, sei darauf hingewiesen worden, dass es um den Patienten gehe, nicht um den Therapeuten. Dies hat schließlich zum Abbruch der Therapie geführt und bei einigen zu dem Gefühl, dass Therapie ohnehin nichts helfe oder sie selbst dafür ungeeignet seien.
All diese Faktoren haben meine therapeutische Einstellung, Selbstoffenbarung zu leben, geprägt.
Meine persönliche Grenze - oder der Unterschied zwischen persönlich und privat
Zu Beginn meiner Tätigkeit als Psychologin war ich in einer Suchtklinik für Frauen beschäftigt. Wurde eine neue Patientin aufgenommen, musste sie eine komplette körperliche Untersuchung über sich ergehen lassen, im wahrsten Sinne des Wortes die Hosen herunterlassen. Regelmäßig musste Urin abgegeben werden. Einmal in der Woche wurden die Zimmer von den Therapeuten gefilzt. Besuch gab es nur an bestimmten Wochenenden unter Aufsicht. In der Gruppen- und Einzeltherapie wurde erwartet, dass die Patientinnen ihr komplettes Leben aufrollen und ausbreiten. Wer wäre ich gewesen, dass ich dann die Frage: "Sind sie verheiratet?" nicht beantwortet hätte? Wer wäre ich gewesen, wenn ich mich vor Menschen, die auf der Straße mit der Nase im Dreck gelebt haben, aufgeschwungen hätte zum "Bei mir ist alles golden im Leben-Engel"?
Gleichzeitig gebot die Vorsicht es, zum Beispiel nicht darüber zu sprechen, wo man wohnt. Denn ungefähr die Hälfte der Patientinnen wurden rückfällig. Brauchten Geld um ihre Sucht zu finanzieren. Hätten und haben sogar die eigenen Kinder verraten dafür. Es wäre also gefährlich gewesen, wenn plötzlich der Freund oder Dealer vor der eigenen Wohnung gestanden wäre. Genauso musste man eins im Blick haben: die Frauen waren mindestens vier, die meisten sechs Monate oder mehr in der Klinik. Da verwechselt man leicht Therapeutin mit Freundin oder Familie. Dies wäre dem Prozess ebenso nicht dienlich gewesen.
Eines habe ich aber auch beobachtet: Grenzen verändern sich im Laufe des Lebens und mit steigender beruflicher Erfahrung. Heute kann ich sagen bin ich in Bezug auf Persönliches viel gelassener als früher. Auch dazu noch eine kleine Anekdote: Meine zweite Arbeitsstelle war eine psychosomatische Klinik. Direkt gegenüber war ein Supermarkt und so blieb es nicht aus, dass ich Patienten beim Einkauf begegnete. Ich weiß noch, dass ich es als extreme Grenzüberschreitung wahrgenommen habe, als eine Patientin zu mir sagte: "Ach den Käse kaufen sie also". Heute hätte ich ganz gelassen sofort die Erwiderung parat: "Und was sagt Ihnen das nun über mich als ihre Therapeutin?"
Was für mich ein absolutes No-go ist und worüber ich nie sprechen würde, weil es wirklich privat ist, sind zum Beispiel Details in Bezug auf mein Familienleben oder eben alles, was mit meinen Kindern zu tun hat. Ich ermutige Dich, Dir zu überlegen, was für Dich zu den privaten Dingen gehört. Leg Deine Wohlfühl-Grenze fest.
Wann Selbstoffenbarung unprofessionell wird
Eines sollte man vorher wissen, wenn man damit arbeitet, Persönliches preiszugeben: Es gibt auch Situationen, wo das völlig unangebracht ist.
Zum einen gibt es den ein oder anderen Klienten, der das überhaupt nicht schätzt. Der professionellen Abstand benötigt, um gut arbeiten zu können. Gefährlich wird es auch immer dann, wenn man selbst als Therapeut zu sehr in den Mittelpunkt des Geschehens rückt und der Klient aus dem Fokus gerät. Unbewusst ist das vielleicht eine willkommene Ablenkung, wenn der Klient ohnehin Muffensausen vor Veränderung hat, sollte aber niemals passieren.
Das Schlimmste was passieren kann, ist, dass der Therapeut sich selbst Dinge von der Seele redet um sich zu entlasten. Der Klient wird dann in die Rolle des Helfers gedrängt und soll Aufmerksamkeit, Mitleid oder Trost spenden. Das überschreitet deutlich die Grenze.
Insgesamt kann festgestellt werden: Als Therapeut oder Coach Persönliches von sich preiszugeben benötigt erst einmal Selbstklärung. Ist diese erfolgt, geht es noch darum, sich klarzumachen wann Selbstoffenbarung sinnvoll eingesetzt werden kann. Leider wird dies in Ausbildungen kaum gelehrt. Insofern scheint es wichtig, eine gute Intuition zu entwickeln oder sich als Hypnose-Praktiker in Selbsthypnose einen Helfer für diesen Zweck anzuschaffen, der während der Sitzung mit dem Klienten befragt werden kann.
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